Texte
 
Theaterkritik Shakespeare Pulp und Fiction
Vom Mittelmaß aller Dinge

Premiere: Shakespeare, Mörder, Pulp & Fiction von John von Düffel - Regie: Peter Lüder

Der traurige Teil ist, einen Witz nacherzählen zu müssen. Der finsterste, zu erklären, warum ein Witz das ist, was er ist. John von Düffel ( 1966 in Göttingen), erfolgreicher Prosaautor, verfasste vor seinem 1998 erschienenen, viel beachteten Roman Vom Wasser die Shakespeare-Parodie Shakespeare, Mörder, Pulp & Fiktion, die 1997 am Schauspielhaus in Basel Uraufführung hatte.
Der 60-Minuten-Auftritt der beiden Mörder aus Richard III. besteht aus aneinander gereihten Etüden, die vom Geiste des seit 1994 erfolgreichen Hollywood-Kult-Films Pulp Fiction von Quentin Tarantino ( 1963) erfüllt sind. Wer weiß, ob Tarantino seine beiden Profikiller nicht schon bei Shakespeare abholte. Der Schluss, die beiden Mörder, die im Auftrage des Herzogs von Gloster dessen Bruder Clarence töten sollen, im Stile der Pulp Fiction-Szenerie in eine Rundum-Parodie zu versetzen liegt nahe und, wie die Aufführung in Georgie´s Off unter der Regie von Peter Lüder ( 1965) zeigt, hat für Shakespeare- und Tarantino-Kenner gewisse erheiternde Reize.
Die Mörder in beiden Vorlagen sind zwei Blödmänner, die nicht genau verstehen, was sie tun sollen, es aber trotzdem tun. Im Falle des Clarence-Auftrages - der ehrgeizige Gloster will seinen Bruder aus dem Weg räumen lassen, um selbst den Königsthron und die Frau seines Neffen besteigen zu können - ergibt sich ein absurdes Problem. Das Opfer schläft. Nun unterhalten sich die beiden tiefsinnig und ausführlich über die Statthaftigkeit des Erstechens eines Schlafenden, kommen über die Begriffe Feigheit und Gewissen aufs Geld, erörtern weitere moralische Fragen mit ihrem mittlerweile erwachten Opfer und erstechen es schließlich, um die Tat anschließend mit dem tiefstem Ausdruck der Reue wiederum erschöpfend zu analysieren.
In Quentin Tarantinos Film ziehen die zwei im Kopf nicht sonderlich hellen Killer aus, um für ihren Chef einen Job zu erledigen, erleben zufällige oder aus ihrem eigenem Unvermögen erwachsende absurde Situationen und machen dabei allerhand Unfug, der sie schließlich selbst ruiniert. Pulp Fiction als Methode, das ist die Hohe Kunst der Parodie, das schräge Spiel mit bereits anderswo vorgefertigten erzählerischen Formen und Inhalten, die nunmehr, eine Beute allgemeinen Gelächters, oft genug in ihr doppelt gespiegeltes Gegenteil verwandelt sind.
John von Düffel treibt das auf die Spitze, indem er allein mit leichthin springenden Begriffen Vorstellungen auslöst, und sie - zugegeben etwas kopflastig - mit dem Szenen-Nummern-Spiel zu unterlaufen sucht. Die eingeübte Theater-, Fernseh- oder Romanvorstellung, für die Peter Lüder sich von Christian Rinke ein ziemlich enges Bühnenbild, umliegende Cafehaus-Zuschauerreihen mit Getränken plus Knabberspaß im Angebot, bauen ließ, ist dafür bestens geeignet.
Immer wieder wird, während die Mörder ihr schlafendes Opfer räsonierend belauern, ein bestimmtes Detail zum Mittel-Maß aller Dinge. Das wiederum tritt an die Stelle des Wahrhaftigen und steigert sich in dieser Eigenschaft als künstlerisches Abbild zum Absurden, auf eine Ebene, wo bibelfeste Mörder, verzeihende Betrüger, zartfühlende Gangster, feinsinnig-schlaue Boxer, geistig-exaltierte und gleichzeitig körperlich robuste Ehefrauen, dämliche Fernsehreparateure, markierende Schauspieler und andere Verrückte die festgefügten Bilder unserer Welt aushöhlen können.
Holger Schmidt und Stephan Fiedler geben sich alle Mühe, die zahllosen Anspielungen, Hindeutungen und Kalauereien in dem kleinen Bühnenrund unterzubringen. Sie kommen als Fernsehmechaniker, entpuppen sich als Gangster und verwandeln sich über mehrere Stadien, einmal natürlich auch als Vincent Vega und Jules Winnfield, und gehen als arme Würstchen. Die mittelmäßigen Helden haben in der Aufführung einen anspruchsvollen Auftrag, sie sollen alles Greifbare parodieren. Das Schwierige dabei ist, auf der Grundlage des Sinnfälligen das schlaff gewordene Ideelle einer künstlich herbeigerufenen Situation oder Person durch nachahmende Darstellung umzuwerten. Um dieses Wollen künstlerisch auf einen allgemeinverständlichen Punkt bringen zu können, sind sehr viel Fingerspitzengefühl, solides Handwerk und jede Menge Bühnenerfahrung nötig. Die Parodie eines Charakters gründet sich auf die Darstellung eines Charakters, weist aber in der angestrebten Wertung über diesen hinaus. Allein mit schnell heruntergehaspelten Texten, wilden Gesten und akrobatischen Übungen gelingt das nicht immer. Auch der parodierende Perspektivwechsel, der hier auf die Figuren aus Shakespeare und Tarantino, dort auf persiflierende Spiegelung von Darstellungsweisen, beispielsweise der Rowan-Atkinson-, John-Travolta-, Tim-Roth- oder Samuel-L.-Jackson-Manier, verfällt, weist auf die unausgewogene konzeptionelle Herangehensweise an den Theatertext.
Alles in Allem ist dem kleinen Ensemble ein ansehnlicher Bühnenspaß gelungen, ein tiefreichender Witz, der launig hinarbeitet auf das im Mai bevorstehende Shakespeare.Spektakel, bei dem der berühmteste Bühnenautor der Welt im Meininger Mittelpunkt steht.
Witze lassen sich nicht nacherzählen, schon gar nicht erklären. Hier zählt nur, hingehen, ansehen, lachen - oder nicht.

Klaus Brückner