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Die kreolische Braut
...
Beim ersten Aufstieg zur Warth blühten einst die Erwartungen fiebrig aus. Der Blick reichte nicht bis an die Berge am
Rand der Welt. Die Ferngläser, von Hand zu Hand gereicht, brachten sie nicht näher. Das Wunder blieb verhüllt. Dem hohen
Maß der ersten Erwartung entsprach die Tiefe der Enttäuschung. Dann sitzen und schwatzen. Der nächste einzigartige Entwurf
des schönsten Ausblicks. Nun, da alle Hoffnung zerschlagen war, durfte ich das Fernglas unbefristet vor die Augen halten
und schwang meinen Blick zwischen die träg einhergleitenden Wolken. Hinter zottig wehenden Schleiern und prall
hervorquellenden Wülsten trat in vollkommener Blöße eine Frau von solcher Schönheit hervor, dass ich unwillkürlich erschrak
und das Glas herunternahm. Nur mit Mühe konnte ich sie wieder finden. Langsam bewegte sie sich hinter dem durchsichtigen
Tüll einer tiefer liegenden Wolkenschicht, doch klar gezeichnet wie eine lockende Verliebte in erwartender Haltung.
Gurgelnd rang ich nach Luft. Warmer Waldbodenduft, durchsetzt vom grunelweichen Hauch der Moosrosen. Die Würze des
begehrten lebendigen Fleisches. Schwerelos trug mich der Blick durch das Fernglas hinan. Traumsicher durch den zarten
Schleier direkt zu den sagenhaften Rundungen und der hingebreiteten Weide höhlenwarmer Natur. Es hätte sein können, dass
sie in rhythmischen Silben reimend sprach. Ich verstand. Doch ich hörte nichts. Raum und Zeit schienen in eins zu stürzen.
Musik umgab mich, nicht zu deuten. Die sanft schwingenden Bewegungen der Frau hielten sich gleichgestimmt mit den Worten,
den Harmonien und dem sich auflösenden Raum. Benommen folgte ich den anderen und schwieg beim Abstieg. Das Wunder vom Rand
der Welt. Auf Teilhabe hatte keiner Anspruch. Die erinnerten Augenblicke, die genauestens rekonstruierten Szenen, die mit
allen Sinnen greifbare Gegenwart - die kreolische Braut. Das Unverfügbare des Bildes spiegelt sich im Undeutbaren des
Begriffes wider. Die Vögel gleiten, nach Beute spähend, über die minder hohen Berge und die weniger tiefen Täler in weiten
Bögen hinweg. Mag jemand behaupten, er vermöge das Hiesige und das Dortige, das Eigene und das Fremde, den Ursprung und das
Ziel in einem solchen Maß ausreichender Gewissheit zu erkennen, dass er über das Verhältnis zu dem Fehlenden in uns und zu
dem Vermögenden außer uns urteilen kann. Die Konturen aller geheimen Offenbarungen blieben mir sichtbar in der kreolischen
Braut. Ihre schläfrigen Bewegungen waren glatt. Ihre Augen sandten eine dunkle Anziehung aus, von einem feuchten Schimmer
beleuchtet, der lebhaft sprühte, sobald mein Blick sie berührte. Sie schenkte mir ihr Erwarten, ich gab mein Zutrauen. Ihre
Stimme klang weicher, als ich es erwartet hatte. In ihren melodiösen Schwingungen stimmte sie in eins mit der Anmut ihrer
Bewegungen, weniger zur wattierten Sinnlichkeit ihres Körpers oder der Zartheit ihrer Glieder. Das Unvereinbare zwischen
dem, was zu sehen und dem, was zu hören war, begann meine Gier zu schüren. Das Gegensätzliche bestimmte ihr Wesen, weit
gespannte Widersprüche gehörten zu ihrer Natur. Ihr Erzählen kam nicht aus ihrem Mund oder von ihrem Kopf her, sondern ganz
und gar aus ihrem Körper. Ich hörte es als andauernde Verheißung, als einen in mich übergreifenden Appell, als eine ins
Bodenlose reichende Anstiftung. Mir fiel auf, dass ihr tief in einen schwülen Alt hinüberreichender Sopran mit einem leicht
verstellten Schweben etwas Störendes preisgab. Ich glaubte zu spüren, wie ihre Stimme eine blindlings aufflackernde
Beflissenheit und eine überzogene, auf den eigenen Vorteil bedachte Umsicht enthüllte. Diese winzige Verdunklung, meine
ich, lehnte sich wohl den Bestrebungen ihres Herzens entgegen. Denn die unpassende Regung ließ mich gewahren, wie weit ihr
Innerstes entfernt war von dem, was ich ihrer idealen Äußerlichkeit nach als Fähigkeit zu feinen Gefühlsregungen vermuten
wollte. Wahrscheinlich vertraute sie auf ihr Gefühl. Nicht auszuschließen auch, dass ihre Begierde in diesem Moment rein
und hell durch ihre Adern schoss. Wie einem sich eifrig aufschwingenden Flieger, der im Hochgefühl seiner Weltvergessenheit
eintaucht in den Augenblick und in die Elemente des Himmels und der Erde - und doch einen Fallschirm trägt, weil er zwar
die Gegenwart des Fliegens bis an die Grenze des Fühlbaren genießen möchte, aber im Innersten jedem noch so kleinen Umstand
misstraut. Der wirklich Rauschwillige fragt nicht nach dem Vorher oder dem Nachher. Der sich Absichernde ist versessen auf
das kalkulierte Erleben einer Verzückung, eines wiederholbaren, steuerbaren, wohlfeilen Abenteuers. Die kreolische Braut
zeigte sich mir in der Pose einer ganz mir geltenden, vorbehaltlosen Ausschließlichkeit, aber hinter ihrer Ergebung
erlauerte ich einen Plan, den nicht zu befolgen sie offenkundig nicht wagen wollte. Ihr Blick wechselte verstohlen, wurde
stechend hart und bohrte selbstsicher all meine Neigung zu Schmerzen. Es war ihr wohl nicht bewusst, dass sie eine
Erregung, die sie wollte und die ihr auch vollkommen gehörte, noch bevor sie sich ihrer sicher sein konnte zerstörte.
Danach löste sie ihre Haltung, die Stimme verlor sich im Höhlernen und ihre Augen erstarrten. Bevor der Wolkenvorhang sich
schloss, blieb mir die Vermutung, dass die kreolische Braut ihren Auftritt bis in die unscheinbarste Regung beherrscht und
ihre Absicht erreicht hatte. In keinem Augenblick war sie dem Rausch der Hingabe so sehr erlegen, dass sie aus dem Sinn
verlor, wie wenig ich ihr bedeutete. Vielleicht ist die erfüllende Herzensneigung für sie nicht alles gewesen. Schon mit
ihrem Schwinden hinter dem Schleier, mit der Wandlung in ein entstelltes Bild ihrer selbst, begann meine Sehnsucht nach
ihrer Wohlgestalt und ihrer aufreizenden Boshaftigkeit. Noch während ihrer Auflösung überwand ich den Zweifel darüber, dass
sie wohl davor zurückschrecken würde, sich selbst des heiligen Scheins zu entkleiden. Sie hatte mich ganz und gar
bezaubert. Wenn das ihr Verlangen war, so gab es keinen Grund, ihre überlegene Zielstrebigkeit in Frage zu stellen. Sie
hatte Zeit, Ort und Gelegenheit mit sicherem Sinn für die stärkste Wirkung gewählt und ihren Erfolg gebührend vorbereitet.
Sollten Unschlüssigkeit oder Bedenken ihre Selbstdarstellung gehemmt oder an ihrer Zuversicht genagt haben, so hat sie
alles Hinderliche ohne jede zögerliche Geste überspielt. Es muss sie Überwindung gekostet haben, denn ich kann mir nicht
vorstellen, dass sie das Erniedrigende ihres unverhüllten Hervortretens zumindest anfänglich nicht empfunden haben sollte.
Vielleicht hat sie in sich die Einbildung genährt, ich könnte mit meiner naiven Bewunderung ihr eintöniges Leben
auflockern, so wie sie meines seither mit einer Idee von Liebe und mit einer entrückten Vorstellungskraft bereicherte. Sie
mochte das Aufwallen eines heftigen Verlangens in ihrer überfeinerten Umgebung, die sie zu missachten vorgab, für die Suche
nach einem freudigeren Lebensinhalt gehalten haben. Doch die Erfahrung des paradiesischen Einklangs, dem sie mit all den
ihr zugehörigen Sinnen entgegenzustreben suchte, war enttäuschend. Die sogenannten schönen Seiten des Lebens blieben ihr
nicht verborgen. Sie wusste das Anspruchslose vom Erhabenen mit sicherem Urteil zu scheiden. Aber die Festigkeit des
wohlerwogenen Gedankens und die tatkräftige Verwandlung in förderliches Tun konnte ihre Sache nicht sein. Woher sollte
wissen, konnte ich es selbst nicht ahnen, dass sich mein unstillbares Begehren auf nichts weniger als die ganze Welt werfen
sollte. Was würde das für sie bedeuten, lebenslang die eigene Welt als unablässig ins Weite zerfließendes Mühen und die ins
Weite gefasste Welt des andern als Enge ertragen zu müssen. Für ein unbedachtes Nachgeben war sie nicht leichtlebig genug.
Ihre ursprüngliche Lebenskraft schärfte die Sinne und beanspruchte eine angemessene Verteidigung ihres Verlangens, das sie
im Bewusstsein des eigenen Rechts auf Befriedigung auch genoss. Der Stachel, die irritierende Störung, die im geheimsten
Winkel noch aufgesparte Zurückhaltung mochte aus dem mehr erahnten als handgreiflichen Befürchten kommen, dass ihr zwischen
höchster Freude und tiefstem Unbehagen nichts erspart bleiben würde.
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