Apocolocyntotika
 
Der Weihnachtsheld
Der Weihnachtsheld
nach dieser oder jener Mitteilung von Jakob und Wilhelm Grimm sowie anderen Märchenonkeln neu erzählt.

Es waren einmal in einer Familie zwei Söhne. Der ältere war ein Träumer, voller romantischer Blasen und empfindsamer
Einfälle. Er besang das grüne Gras und konnte auch den hässlichsten Mädchen noch glühende Gedichte schreiben. Der jüngere
Sohn hingegen war abgebrüht und geradezu. Wo der ältere das güldene Lockenhaar einer Maid besang, fauchte er, überständige
Jungfern mit Haaren auf der Brust seien widerlich. Er hatte kein Herz und Tränen waren ihm fremd. Den Nachbarn war er nicht
geheuer und sie tuschelten unter sich: Der wird seinem Vater noch zu Weihnachten heimsuchen! Wenn ein größeres
Jubiläum zu begehen war, wusste der älteste Sohn immer, wie auch in den trübsten Haufen eine wunderbar leichte Laune zu
bringen war. Immer in der Adventszeit aber, wenn die Mutter ihm auftrug, vom Markt Backzutaten und Weihnachtsgewürze zu
besorgen, nahm sein Verhalten an Sonderbarkeit zu. Der Weg dorthin war an allen Wochen des Jahres ein willkommener Gang für
den älteren Sohn. Doch der weihnachtliche Markt ließ ihn eine Gänsehaut ziehen: Lieber nicht, liebe Mutter! Ungern
nah ich diesem Ort, allwo es zu sehr weihnachtet. Denn insgeheim spürte er den dunklen Sog dieses Festes und wie es
ihn lockte und immer dringlicher lockte. Auch benahm er sich anders, wenn, im Glanz der Weihnachtslichter auf dem
Adventskranz, des Abends am Kachelofen die schönen Lieder erklangen. Vom heißen Blutstrom des Herzens ergriffen, löste ihm
die Weihnachtlichkeit mächtige Tränenfälle hervor, und auch die vom Dorfe her zahlreich eintretenden Hörer sprachen mit dem
Schnupftuch in der Hand: Uch, wie weihnachtets mir doch jetzt erst recht! In der gegenüber liegenden Ecke aber
kauerte der jüngere Sohn, schlang die Arme bis an die Ellenbogen um beide Ohren und schüttelte in den Gesangspausen immer
wieder mit Grausen den Kopf. Er konnte dieses Geheule vom Tannenbaum und all den Schneeflöckchen nicht mehr hören. Auch
ging ihm das andauernde Uch, wie weihnachtets mir doch jetzt erst recht! auf die Nerven. Denn immer wieder
sprach er zu sich selbst: Was die nur alle haben, mir weihnachtets nimmer und nirgendwo! Er schlang wieder die
Arme um seine Ohren und dachte darüber nach, was es wohl mit der Weihnachterei auf sich hätte. Eines Tages sprach der
Vater, als auch ihm die Tränenströme in den Bart rannen, zu ihm: Mein armer Sohn. Komm hervor aus deiner Ecke. Du
bist abgebrüht und geradezu. Endlich nun sollst auch du lernen, mit deinen Gefühlen umzugehen. Zuvörderst also musst du
welche bekommen. Sonst wirst du den Tannenbaum und die Schneeflöckchen, geschweige denn die Stille und die Nacht nimmermehr
zu würdigen wissen. Du musst erfahren, wie es ist, wenn es dir weihnachtet! Klare Sache, Vater, erwiderte
er und kam aus seiner Ecke, Gefühle müssen eine tolle Erfahrung sein. Könnte ja lernen, wie es ist, wenns mir so
richtig weihnachtet. Davon verstehe ich noch rein gar nichts. Das erheiterte den älteren Sohn dermaßen, dass er bei
sich dachte: Ei du siebenzüngiger Eulenspiegel, ob wohl aus dir irgendwann ein Träumer mit romantischen Blasen im
Kopf wird, sei dahingestellt. Doch wer all diese Sachen nicht hat, kann niemals richtige Feiern richtig feiern, sich nicht
an Frauen richtig freuen und auch weihnachtet es ihm nicht gehörig. Als der Vater die Bereitschaft seines jüngeren
Sohnes vernahm, zu erfahren, dass es ihm eines Tages endlich weihnachte, richtete er sich auf, setzte sich gemessen auf
seinen Schemel, stopfte sich seine Pfeife, entzündete das Kienholz, hielt es an den Tabak, stopfte nach, zog und saugte an
seinem Mundstück, hustete ausgiebig, rang nach Luft, stopfte den glühenden Tabakknäuel nach, schnäuzte in sein väterliches
Tuch, räusperte sich, sog wiederum an seiner Pfeife, seufzte und sprach: Du sollst lernen, was es mit dem Weihnachten
auf sich hat, mein jüngerer Sohn. Doch mit den Gefühlen wird es sehr viel schwerer werden, glaube mir, ich spreche aus
Erfahrung! Ein paar neblige Tage gingen ins winterliche Land. Dann stand auch der Kantor mit unter den zu Tränen
gerührten Gästen in der Stube, die dem Gesang der rund um den Tisch versammelten Adventsgemeinde lauschten im Dämmer des
vorweihnachtlichen Kerzenscheins. Der Vater schnäuzte sich gewaltig, trat an den Kantor heran und wies auf seinen jüngeren
Sohn in der Ecke und wie er sich die Arme bis zum Ellenbogen um die Ohren gewunden hatte. In allen Gefühlen ist mein
älterer Sohn aufs beste beschlagen, er ist ein wunderbarer Träumer und hat auch ordentlich romantische Blasen im Kopf. Bloß
mit meinem jüngeren Sohn ist das ganz und gar nicht in seiner Ordnung. Mit ihm haben wir unsere liebe Not, denn von allen
Gefühlen versteht er rein gar nichts und ist auch sonst nur abgebrüht und geradezu. Dennoch hat er sich jetzt vorgenommen
zu lernen, wie es ist, wenn es ihm richtig weihnachtet. Das scheint mir ein guter Anfang zu sein. Oder wie meinen Sie, Herr
Kantor? Das kann wohl gehen, entgegnete der Kantor, wickelte ein Eukalyptusbonbon aus und steckte es sich
genüsslich unter seinen Schnauzbart, denn so er möchte, kann er bei mir lernen, wie es ist, wenn es ihm richtig
weihnachten wolle. Gebt ihn mir in die Lehre, so werde ich es ihm abbiegen, abgebrüht und geradezu zu sein. Dem Vater
fiel ein Stein vom Herzen. Er richtete sich auf, setzte sich gemessen auf seinen Schemel zurecht, stopfte sich in
befriedigter Erwartung seine Pfeife, entzündete frohlockend das Kienholz, hielt es blitzenden Auges an den Tabak, stopfte
schmunzelnd nach, zog genüsslich und saugte schmatzend an seinem Mundstück, hustete lange und ausgiebig, rang schniefend
nach Luft, stopfte mit einem vergnügt zugekniffenen Auge den glühenden Tabakknäuel nach, schnäuzte eine mächtige Fanfare in
sein väterliches Tuch, räusperte sich rasselnd, sog paffend wiederum an seiner Pfeife, seufzte tiefinniglich und sprach
weichherzig: Ach, wenn es zum Gefühl hilft, mags dem Jungen gut tun und uns desgleichen. Zum nächsten Advent
stimmte der Kantor die Orgel, probte auch schon mal einen festlich-stummen Basslauf mit den Füßen auf dem Pedalwerk, schob
neue Nummern in die Liedertafeln und legte die Gesangbücher zurecht. Der jüngere Sohn aber war auf sein Geheiß bei der Frau
Kantorin in der Küche geblieben, damit er beim Backen der Weihnachtskuchen und plätzchen Hand mit anlegen und die
weihnachtliche Stimmung hautnah erfahren konnte. Ein wenig hoffte der Kantor auch, dass der Fall wohl leicht damit zu lösen
wäre, denn in der Küche kamen für gewöhnlich bei dieser Gelegenheit alle Düfte des Orients und des Okzidents zusammen,
köstlich dufteten die Lebkuchen, gar kräftig fuhr der Dunst von Pfefferkuchen in die Nase und die junge Frau Kantor sang
bei allem Kneten und Backen herzerweichende Adventslieder mit Lerchenstimme und frommer Hingabe, dass sogar ein steinernes
Herz davon zerfließen musste. Der jüngere Sohn ließ es sich auf der Ofenbank derweil recht wohl ergehen. Die Düfte reizten
ihn gewaltig, so dass er allen Teig mit seinem Finger wegfing und mit langer Zunge einschlürfte. Der Gesang aus der offenen
Kehle der Kantorin brachte sein inneres Brodeln in Gang und die runden, vom Mehl und Melasse klebrigen schweißnassen Arme
rissen an seinen Zügeln, dass er, nachdem der Teig fast aufgeschleckt war, der Kantorin unter den Rock fuhr und ihrem
Gesang ein Juchzen folgte. Der Kantor hörte dies drüben in der Kirche wohl, lächelte tiefsinnig und schlug vor Vergnügen
noch einen Gang in die Pedale Den Himmel auf, die Tor macht weit... Wäre der Blasebalg getreten worden, das
Brausen und Tosen hätte das Kirchenschiff erzittern lassen. Doch als er in die Küche kam und seine tropfnasse Frau an den
leeren Kübeln reiben und den glühenden Kerl unterm Tisch liegen sah, nahm er den Kirchenschlüssel fest in die Hand und
drosch ihn dem jüngeren Sohn auf den Kopf. Der aber trat nach ihm. Der Kantor stolperte rücklings über einen Eimer, worauf
er die Ofenleine herunterriss, die sich in einem Topfhenkel verfing. Dann ergoss sich die heiße Schokolade langsam über die
Gestalt des Kantors. Von seinem Brüllen klangen selbst die erzenen Glocken im Turm noch minutenlang nach. Der Vater nahm
den langen Stiel und hieb nun seinerseits im Zorn den Pfeifenkopf gar heftig auf den Kopf des jüngeren Sohnes, dass er zu
zerspringen drohte. Du Tagedieb und Nichtsnutz, elendiglicher! Verschwinde in der Wüste Sinai, du gottloser Stoffel!
Aus meinem Haus hinaus! Brüllte dies und schlug das Türblatt dermaßen in den Rahmen, dass das ganze Gebäu wankte und
der Lehm aus den Fugen rieselte. Wenns so ist, sagte der jüngere Sohn abgebrüht und direkt, rieb sich ein wenig
seine zwei Stirnbeulen und trollte sich in den Stall. Noch heute, sobald es dunkel wird, werde ich dafür sorgen, dass
ich herausfinde, wie es ist, wenn es weihnachtet. Dann sollen mir auch schon Gefühle kommen, das wäre doch gelacht!
Er stieg die Leiter hinan und kroch ins warme Bodenstroh, das über den Kühen lagerte und stets warm war, und grübelte.
Du Monstrum, donnerte der Vater am Abend, weißt nichts von Gefühlen und all den weihnachtlichen
Erhebungen und wirst auch nie dahinter kommen, elender Wicht. Er schmiss eine Hand voll Geld auf die Treppe, was so
viel sagen sollte wie: Suche deine Träume wo du willst, nur nicht hier, schorfiger Grützenbastard, es ist mir schnurzpiepe,
wo und wie du verreckst, friss das Geld meinetwegen, mache jede Weltgegend unsicher, nur lass dich nie wieder in meinem
Dunstkreis blicken, Arschgeige, blödsinnige, und sage nirgendwo, dass ich dein Vater sein soll, das wäre ja dann noch
schöner, Dreckbrocken, ranziger. Wenns so ist, sprach der jüngere Sohn, während er das Geld aufpickte,
keine Bange, Vater und Mutter, ich geh meiner Wege, kommt mir aber bloß nicht betteln, wenns euch nicht mehr so üppig
geht wie dermalen. Von mir aus macht was ihr wollt. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Er schürte sein
Felleisen, nahm seinen Knotenstock, und schritt von dannen. Von Mal zu Mal, wenn er einen Baum sah oder eine Brücke
überschritt oder eine Wolke ihn die Gestalt eines Wesens bedünken ließ, rief er: Wills nun endlich nicht so sein, als
ob es mir weihnachtet? Einmal, nahe am Teutoburger Wald, fiel ein kleines Männlein aus dem Baum, den der jüngere Sohn
gerade angesprochen hatte. Was erschreckst du mich im Schlaf, geiferte der Kleine los, kannst du nicht still
deiner Wege ziehen, Kasperkopf, grönländischer? Ich wollte doch nur, dass es mir weihnachtete, sagte der
jüngere Sohn. Das ist ja nun wirklich keine Hürde, antwortete der kleine Mann, hab nämlich gerade gestern
einen größeren Auftrag eingefahren, weihnachtsmäßig, wenn du verstehst, was ich meine. Nein, verstehe ich
nicht, sagte der jüngere Sohn. Da dachte der kleine Mann bei sich insgeheim: Du Kotzbrocken von einem Eisklotz,
lausiger, dir werde ich beibringen, was ein Gefühl ist. Er winkte dem jüngeren Sohn zu, ihm zu folgen. Als sie drei
Wege und drei Kreuzungen überschritten hatten, kamen sie auf eine in strahlender Kerzenpracht leuchtende Kirche zu. Immer
deutlicher waren die Kinderstimmen zu vernehmen, die dem Adventssingen ein festliches Gepräge gaben und kein noch so
verkniffenes Auge trocken ließen. Hell und klar hoben die Stimmen wie Engelsklang die weihnachtliche Seligkeit über den
verschneiten Kirchturm hinaus, den zitternden Sternen zu. Leise rieselte der Schnee vom First, als wollte das offene
Firmament mit einem glitzernden Sternenregen danken für das wunderbare Klanggeschenk, das die zarten Kindermünder so weich
und innig aushauchten. Der kleinen Gefährte wies dem jüngeren Sohn einen Platz auf einer hinteren Bank zu und versprach,
ihn nachher wieder abzuholen. Dann stieg er zur Empore auf und hinterließ eine erwartungsfrohe Wolke unsichtbaren Glücks.
Dem jüngeren Sohn schlängelte sich im nächsten Augenblick die öde Langeweile ein und schnürte wie ein Strick seine
steinernen Sinne zusammen. Schon schnarchte er laut auf und alle beseligten Ohren schlugen sich um, und einhellig
durchstieß ein Wunsch den Raum, diese grunzende Wildsau solle auf der Stelle verrecken. Als das Adventssingen vorüber war,
kam der kleine Mann von der Empore herab und fragte ergriffen: War es nicht berührend, wie die Kinder sangen?
Konntest du erfahren, wie es ist, wenn es dir weihnachtet? Der jüngere Sohn schreckte aus einem Abgrund von Schlaf
empor, fasste den kleinen Mann ins Auge, ließ sich die Frage wiederholen und antwortete, wie sollte es ihm bei dieser
dünnstimmigen Singerei gelingen herauszufinden, wie es sei, dass es ihm nun endlich weihnachte. Ungeheizt wäre der Schuppen
außerdem und viel zu viele Gaffer und Armleuchter hätten herumgesessen und ihn angeglotzt wie ein Mondkalb. Der kleine Mann
brabbelte ungeduldig etwas in seinen Bart, wackelte seinen Kopf hin und her, stieß seinen Zeigefinger von vorn an seine
Stirn und schaute dem jüngeren Sohn unterwärtig ins Gesicht, was aussah, als wolle er kamelischer Idiot sagen oder
lottriger Gloifel. Dann verschwand er wortlos durch die Tür. Der jüngere Sohn schlief in der Kirche wieder ein und am
anderen Morgen nahm ihn der Abdecker mit auf seinem Schlitten. An der nächsten Wirtschaft stieg er ab. Die lag in einem
schmalen Tale, wo die Häuser des Dorfes geduckt an die dem Felsen gegenüber liegende Bergwange geheftet waren. Hoch oben,
auf der ins Firmament ragenden roten Felsnase, war trotzig eine Burg aufgetürmt, von deren Zinnen an einem Galgenbalken
eine Gestalt im Wind baumelte. Ein Schwarm von Krähen umrundete die Burg und den Erhängten in wildem Reigen. Bei genauerem
Hinsehen erst erkannte der jüngere Sohn, dass es sich um einen aufgehängten Weihnachtsmann handelte, der da im frostigen
Winde hin und her pendelte und um den die Krähen mit stechendem Geschrei ihre Kreise zogen. Hinterm Tresen stand ein
massives Frauenzimmer und putzte Gläser. Der jüngere Sohn hatte sich in eine Nische gesetzt, rieb sich die Hände an den
Schenkeln und brabbelte zitternd vor sich hin. Die Wirtin spitzte die Ohren und hörte: Könnte ich doch nur recht
schnell erfahren, wie es ist, wenn es mir weihnachtete. Sie brachte ihm einen steifen Punsch, weil sie an seiner
roten Nase sah, wie durchgefroren er sein musste. Nach dem dritten Glas taute er langsam auf. Wie ist es wohl, wenn
es einem weihnachtet? Die Wirtin verstand nicht das Geringste. Es lag aber nahe, dass er so einer von dieser
wahnsinnigen Truppe war, die mit vollem Risiko um die Hand der Prinzessin buhlte. Erst kürzlich saß ein rot bezipfelmützter
Schelm auf dem gleichen Platz wie der jüngere Sohn, mit rotem Mantel und silbern schimmernden Rauschebart.
Kerle!, dachte die Wirtin, stemmte ihren Brustapparat nach oben, dass es gefährlich wogte, und stieß die Luft
aus, dass es fauchte. Dann schenkte sie ihm reinen Wein ein. Wer in der Burg oben auf der großen Felsennase in der
schaurigen Adventszeit drei Sonnenaufgänge an drei aufeinanderfolgenden Tagen mit offenen Augen sähe, dürfe die jüngere
Tochter des Königs ehelichen. Die drei Besonderheiten an der ganzen Sache seien erstens, es handele sich bei dem
Steinkasten um ein verzaubertes Weihnachtsparadies, zweitens habe die Prinzessin noch keiner je zu Gesicht bekommen und
drittens sei der König nicht nur ein bisschen, sondern ganz schön verrückt. Wer es dennoch schaffe, was noch nicht
vorgekommen sei, bekomme, wie gesagt die Prinzessin zur Frau und als Zugabe ein Goldbergwerk in Papua-Neuguinea. Von diesem
Land hatte der jüngere Sohn noch nie etwas gehört. Dass dort Gold zu schürfen sei auch nicht. Doch etwas Sonderbares kam
ihn an, als er das hörte, was genau, konnte er nicht sagen. Erst verdrückte er eine heiße Hühnersuppe. Dann einen
Schweinebraten. Dann eine ganze Kasserolle voller Rouladen. Hernach eine Schwarzwälder Kirsch gefolgt von zwölferlei
Pfeffer- und Lebkuchen und hinterdrein die Spezialität des Hauses, ein Honigsouffle mit Preiselbeertrüffeln, gebettet auf
Mousse au chocolat. Sein Wanst plusterte mächtig auf und der Schweiß rann ihm in den Kragen. Ich zahle wenn ich dem
König sein Schwiegersohn bin, beschied er der Dame Wirtin, kam ihr dabei bedrohlich nahe und sie sah, dass es mit ihm
nicht mehr so war wie vorher, als er schlotternd hereingekommen war. So ließ sie ihn gewähren und sagte sich, eines Tages
würde er sowieso vom Galgen fallen, dann risse sie ihm die silberne Gürtelschnalle vom Bauch und schnitte was sonst noch an
ihm glitzerte und lockte herunter- oder heraus. Bisher waren die von der verrückten Truppe alle in mehr oder weniger
kleinen Teilen von oben herabgeflogen und bis vor ihre Tür gerollt. Des war sie so gewiss wie der nächste Komet käme, heute
Nacht oder nächstes Jahr oder in fünfhundert Jahren, wer konnte das schon vorhersehen. Nachdem das geklärt war, nahm der
jüngere Sohn sein Bündel und verschwand in Dunkelheit und Schneegestöber, wenn nicht alles täuschte in Richtung Burg. Die
Zugbrücke war offen. Als er sie überschritten hatte, klappte sie rasselnd hinter ihm zu. Ein wenig zu schnell für seinen
Geschmack, aber naja. Im Burghof stand ein Page, ganz in Karnickelfelle gekleidet, von denen die Köpfe großäugig
herabbaumelten. Folge mir, mutiger Fremder, in die erste Kammer. Woher konnte der Page wohl wissen, dass er,
der jüngere Sohn höchstpersönlich, gerade jetzt, hier und heute erscheinen würde? Die erste Kammer war voller Kerzendochte.
Der Page war verschwunden, die Tür fest verriegelt. Den Dochten gegenüber lagen Blöcke von Wachs der verschiedensten Farben
und Duftnoten. Mach, dass wir erfahren, wie es ist, wenn es uns kerzt, jammerten die Dochte erst ganz leise und
dann immer lauter mit heller Fistelstimme. Ein Katzenkonzert war nichts dagegen. Und die Wachsblöcke brummten dazu:
Mach, dass wir erfahren, wie es ist, wenn es uns dochtelt. Da krempelte er die Arme hoch und goss Kerzen. Bis
das Wachs erfahren hatte, wie es ist, wenn es dochtelt und die Dochte, wie es ist, wenn es kerzt. Und weil die Nacht noch
nicht zu Ende war und er die Morgensonne sehen wollte, schrieb er mit einem Nagel blumige Weihnachtsgrüße auf die Kerzen,
und legte sie mit dem Gold- und Silbersand aus, der haufenweise in der Kammer herumlag. Fröhliche
Weihnachtszeit stand jetzt an den Kerzen gerade oder schräg, gewunden oder eckig. Dann ritzte er Verschenk
mich oder Blaken mit Herz oder Sieh ich brenne lichterloh, denn heut lieb ich dich ja so!
hinein und kringelte alles silbern und gülden ein. Zuletzt, als ihm alles zu bunt wurde, krakelte er Frohe Ostern,
lieber Nachbar, rat mal, wo ich heute Nacht war? um die Kerzenwände und kicherte dabei in einem fort. Dann kam die
Morgendämmerung und der erste Strahl der Sonne fiel durchs Fenster auf eine Rosenblüte, die an der blassen Tapete vorher
kaum zu erkennen war. Na also, Nummer eins, sagte er bei sich, und legte sich zwischen den Kerzenstapeln aufs
Ohr bis der Page kam. Wo war die Sonne zuerst?, fragte der Karnickelfellgnom. Rosenblüte, warf der
jüngere Sohn lässig hin, abgebrüht und geradezu. Donnerkeil!, nickte der Kleine respektvoll und öffnete die
Tür. Das Frühstück stand schon bereit und die Wirtin konnte ihre Neugier kaum zügeln. Na, wie war´s, platzte
sie zwischen die Eier und den Schinken. Kleinigkeit, winkte der jüngere Sohn ab, Kerzengießen ist eine
harmlose Beschäftigung. Ich habe nichts gefühlt und auch nicht erfahren, wie es wäre, wenn es mir nun endlich
weihnachtete. Schwer wogte der Busen der massiven Dame auf unterm Dirndl und ab. Ja, ja, so ist das!,
bestätigte sie und wienerte versonnen ihre Gläser, hob sie ins Licht, kniff ein Auge klein und stellte sie, mit dem Tuch im
Griff, in den Spiegelschrank. So ist das, ja, ja! Nach dem zweiten Abendendbrot, das noch üppiger ausfiel als
das erste, mit Hirschbraten und Gans und Süßspeise a la Mexicana mit Nüssen und Gewürzen von der ganzen karibischen Küste,
wuchtete der jüngere Sohn seinen Wanst in den Sturm und watschelte stöhnend davon, dorthin, wo bei Tag die Burg zu sehen
war. Der Page mit den Karnickelklamotten war auch schon da und die Zugbrücke schnellte hoch wie eine Mausefalle. Als der
Kleine die Tür hinter ihm geschlossen und er sich an das dämmrige Kerzenlicht gewöhnt hatte, sah er, dass der ganze Raum
voller Weihnachtsbäume war. In den Ecken lagen Massen von bunten Lamettaknäueln und hochgetürmte Kartons, in denen die
absonderlichsten Glasgebilde aneinandergereiht waren. Rot, blau, grün und lila, gelb gestreift, mit weißen Karos und
schwarzen Punkten, als Tannenzapfen, als Vögelchen, als Kugeln, als Kegel, konvex und konkav, spitz und rund, als Pilze und
als Heinzelmännchen, als Dirndldame und als Weihnachtsmann, als Pfefferkuchen und als Mond, als - ach was, als alles, was
es überhaupt so gab. Schmücke uns, damit wir erfahren, wie es ist, wenn es uns lamettiert, säuselten die
Weihnachtsbäume ununterbrochen und wedelten mit ihren Ästen lockend herum. Dann fing das Lametta an, und die Glasbeulen aus
den Kartons stimmten mit ein, in einen quietschenden Gesang: Häng uns auf, damit wir erfahren, wie es ist, wenn es
uns bäumelt! Das ließ sich der jüngere Sohn nicht zweimal sagen, und er warf das Lametta in den wildesten Variationen
über die Äste und knüpfte die Glassachen dazwischen, dass die Weihnachtsbäume nur selig stöhnten und mit ihrem Lamentieren
einhielten. Als alle Bäume befriedigt waren und das Lametta aufgebraucht und die Kartons leer, friemelte er aus dem in
Haufen am Boden liegenden Stroh mit seinem Kamm das feinste Engelshaar und ließ es über die bunt glitzernden Bäumchen
fließen. Die schwelgten in ihrem Weihnachtsbaumhimmel auf Wolke sieben. Dann kam der Morgendämmer und die Sonne fiel auf
eine Spinne, die sich an ihrem Faden neugierig von der Decke herabgelassen hatte, um das fein gesponnene Engelshaar zu
inspizieren, vielleicht, dass es noch etwas zu lernen gäbe. Der jüngere Sohn sah das, dann schmiss er sich in die Kartons
und drusselte vor sich hin. Als der Karnickelmann kam, machte er nur eine wegwerfende Handbewegung und nörgelte
Spinne! Der Gnom hob beide Augenbrauen und rief, ehrlich erstaunt: Sapperlot und Teufelswurz, stramme
Leistung, Nachbar!, wandte sich um und ließ die Tür sperrangelweit offen stehen. Beim Frühstück schob die Wirtin ihre
Frage zwischen das scharf gebackene Weißbrot und den kümmelsauren Presssack: Na, alles überlebt soweit? Der
jüngere Sohn schmiss seine Hand über die Schulter: Krümelkram. Weihnachtsbäume verunstalten mit Lametta und Glasmüll
und Strohschlieren, pah! Der Dirndlrocksaum fuhr in den Staub: Ja, auch sowas gibt´s. Die Welt ist ein
Spielzeugladen. Das verstand der jüngere Sohn nicht. Wollte er auch nicht. Wollte nur schlafen. Beim dritten
Abendbrot pratzte er eine Rindskeule, einen Hasen und eine mächtige, mit Ingwer und Rosinen, Zitronen und Vanille dicht
besetzte Dampfnudel mit süßer Sahne aufgegossen. Den Hosenbund hatte er aufgeknöpft und der Wanst hing ihm weit über die
Knie herab. Nun denn, tapferer Ritter, aller guten Dinge sind drei, stichelte die Wirtin.
Albernheiten, wehrte er ab und wuchtete seine Füße einen vor den andern in die Nacht, dorthin, wo er schon
zweimal verschwunden war.
...