Kritik
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Theater: 165 Jahre auf Heinrichs Spur
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Albert R. Pasch inszenierte in Meiningen Faust, der Tragödie zweiter Teil von Johann Wolfgang von Goethe
Faust, der Tragödie zweiter Teil auf das Theater zu bringen ist für jeden Regisseur ein Entschluss mit weitreichenden Folgen. Albert R. Pasch hat sich dieser schier beängstigenden Anhäufung sehr ernster Scherze (Goethe) gestellt und sich damit selbst ein Abschiedsgeschenk dargereicht. Denn das ist es auch aus der Sicht der Theaterleitung: Der Aufwand für die Inszenierung des letzten Goethe-Werks übertrifft den für manch anderes Stück nötigen um ein Vielfaches. Albert R. Pasch also, der langgediente Schauspieldirektor von altem - familiäre Vorbelastung bewußt einkalkulierendem - komödiantischem Schrot und Korn, scheidet von der Meininger Bühne. Intendant Ulrich Burkhardt ließ es sich denn auch nicht nehmen, den Rahmen der Premierenveranstaltung im Nachhinein für eine Belegschaftsversammlung nutzend, einige Lebensstationen des von der Zuneigung seines Publikums ehrlich berührten Schauspieldirektors Revue und ebensoviele würdigende Worte passieren zu lassen. Der Angesprochene war darob scheinbar gerührt; wer sich in Theaterkantinen und den nach ihnen genannten Gesprächen auskennt, mag wissen, wie sehr.
Mit Albert R. Pasch verlässt ein solider Regie-Routinier das Meininger Ensemble, ein glänzender Darsteller und ein gewiefter Organisator, der mit seiner Arbeit ganz gewiss zu den Stützen des Hauses zählte. Seine Fans dürfen hoffen, dass der beliebte Komödiant schon von Natur aus der werrastädtischen Theaterluft nicht von heute auf morgen abrupt entraten kann und sozusagen von außen auch fürderhin das Repertoire mit der einen oder andern Bühnenzutat bereichert. Ulrich Burk-hardt: Unter allen Schauspieldirektoren, die ich kenne, ist Albert R. Pasch der beste Koch. Und unter allen Köchen, die ich kenne, ist er der beste Schauspieldirektor. Ich füge hinzu: Wenn Franz und Paul von Schönthan je einen Striese leibhaftig vor Augen hatten, dann muss dies Albert R. Pasch gewesen sein. Von einem Mann, der als Kind bei Joachim Ringelnatz auf dem Schoße saß, wäre das auch nicht anders zu erwarten gewesen.
Die Zweifel des alten Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) waren wohl begründet, die er fünf Tage vor seinem Tod, am 22. März 1832, in einem Brief an Alexander von Humboldt (1769-1859), der um Einblick in das Manuskript des zweiten Faust-Teils gebeten hatte, schrieb, nämlich, die unmittelbare Gegenwart komme ihm wirklich so absurd und konfus an, daß ich mich überzeuge, meine redlichen, lange verfolgten Bemühungen um dieses seltsame Gebäu würden schlecht belohnt und an den Strand getrieben, wie ein Wrack in Trümmern daliegen und von dem Dünenschutt der den Alltag belastenden verwirrenden Kleinlichkeiten zunächst überschüttet werden.
So erscheint der nach mehr als fünfjähriger Arbeit 1831 vollendete zweite Teil der Faust-Tragödie, vom Autor zunächst eingesiegelt in ein bergendes Konvolut, erst nach seinem Tode. Wie sich zeigte, waren die Bedenken des 83-jährigen Goethe begründet. Die seit nunmehr 165 Jahren anhaltenden philologischen Bemühungen um diese aus dem gewaltigen Lebenswerk heraus verfolgten, in einen verwirrenden Anspielungsteppich verwobenen Fäden setzen sich fort, jedes für gelöst gehaltene Rätsel öffnet den Zugang zu fünf neuen, so dass des kindlichen Staunens kein Ende sein wird, solange es Theater und Bühne gibt.
Albert R. Pasch hat das Opus magnum rigoros zusammengestrichen. Die bei seiner zur Gänze entfalteten Sprachwelt nötigen zehn Stunden sind so auf drei minimiert. Das bedeutet Konzentration auf einen interessierenden Aspekt, und der zielt auf Faust selbst, auf das sich in der Welt bewegende Ich, das selbstbewusste Verfolgen des individuellen Strebens, dessen er sich bis zu seinem Ende nach seinem Maß immer bemüht. So wird der Versuch unternommen, den ideellen Ansatz aus Faust, der Tragödie erster Teil - den Fritz Bennewitz im Vorjahr zu inszenieren begann und den Albert R. Pasch dankenswerterweise beendete, weil der Weimarer Regisseur unter der Arbeit verstarb - auch im zweiten Teil fortzusetzen. Die inhaltlichen Konzepte allerdings sind so grundverschieden, dass zu Beginn des zweiten Teil-Stücks die Irritation größer ist als das Staunen über ein ins Kitschige geratenes Einstiegstableau.
Fritz Bennewitz hatte versucht, seine über viele DDR-Jahre gewachsene Faust-Deutung in einem mutigen Gewaltakt rigoros zurückzuznehmen; er verweigerte der Gegenwart den Optimismus der früheren Jahre. Immerhin ging es da auch um einen Faust, von dem Walter Ulbricht 1958 auf dem III. Kongress des Nationalrats der Nationalen Front gesprochen hatte: Wenn ihr wissen wollt, wie der Weg vorwärts geht, dann lest Goethes ´Faust´ und Marx´ ´Kommunistisches Manifest´! Dann wisst ihr, wie es weitergeht.
Der zweite Teil nun versucht sich im direkten Anschluss, die Reminiszenz der Kerkerszene steht dafür. Doch konnte der Bruch nicht deutlicher sein: Die gleich zu Beginn sich zur Welt öffnende Weit- und Tiefsicht der Hauptfigur wird im Bild von des bunten Bogens Wechseldauer wörtlich genommen und verleitete den Regisseur zu der Annahme, er müsse den aus der Gretchentragödie her-übergewechselten Titelhelden inmitten eines poppigen Heiligenscheins von der Art einer antikonzeptionellen Medikamentenreklame neugeboren erstehen lassen.
Hans-Joachim Rodewald, der mit fortgreifendem Text an darstellerischer Sicherheit gewinnt, war, wie dies jedem andern Schauspieler auch ergangen wäre, in diesen Eingangspassagen ziemlich hilflos. Wie auch Ulrich Kunze übrigens, der seinen richtigen Mephisto-Touch auch erst nach längerer Warmlaufzeit gewinnt. Mit der Investition einiger Gran Gehirnschmalz mehr, eines genaueren Strichs gleich zu Beginn und mit mehr Zutrauen in den Sinn des sezierten Textes hätten die Theaterleute dem Publikum weiterhelfen können, damit es angesichts der zahlreich erscheinenden Figuren und ihrer verschlüsselten Deutungen in dieser Inszenierung schneller Tritt fasse.
Wunderbare Szenen-Ideen veredeln den Verlauf der Vorstellung zunehmend: der Kaiserhof in der Puppenkiste, der strahlende Elefant, die sehr dezente klassische Walpurgisnacht mit dem putzig-zappeligen Chiron und den entnervten hand(lungs)losen Philosophen, die gediegen schönen Helena-Szenen und so weiter. Auch der Schluss-Gag, als der Herr (bekannt aus dem Prolog vor dem ersten Teil, der mit der Wette: Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange, - Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.) nach seiner eigenwilligen, sonst einem Engel vorbehaltenen Verkündigung, dass das edle Glied der Geisterwelt vom Bösen gerettet sei, anwesend bleibt und Mephisto die Gelegenheit beim Schopfe packt, um ihn mit: Da du, oh Herr, dich einmal wieder nahst..., wieder von vorn zu provozieren sucht, ist, die Lacher beim Publikum einkalkulierend, scheinbar gelungen, wenn der dramaturgische Lapsus der direkten Anwesenheit des Herrn in seiner eigenen Show auch in allerhöchstem Maße ungoethisch ist.
Bei der Umarbeitung des Textes im Interesse eines großen Publikums waren die Streicher sehr um Einfühlsamkeit bemüht und um Förderung des Verständnisses all der dunklen Wege und Unbilden, denen die Faustfigur ausgesetzt ist, mit dem Erfolg, dass ihr leicht zu folgen sei: Die Strichfassung ist im Programmheft dokumentiert, was die Zuschauer dankbar anerkennen dürften. Aber dieser Eingängigkeits-Vorteil, der sich aus den Maximen der Vorabendserienphilosophie auch leichthin erklären lässt, ist zwangsläufig eingetauscht gegen ein grundlegendes Manko: Die aus weltgeschichtlichen Wurzeln heraufdampfende Atmosphäre, die Faust in seinen teuflischen Verstrickungen beim Wahrnehmen seiner menschlichen Verantwortung einem zunehmenden Druck aussetzt, wird im Verlaufe dieser Inszenierung lediglich angedeutet, jedoch nicht bewältigt. Hier wieder ist der Bruch zum ersten Meininger Teil der Tragödie zu spüren, die vorgegebene Denk- und Erlebnishöhe wird leider nicht gehalten. Der offenbar reichlich zur Verfügung stehende theatralische Waberqualm macht auch in diesem Fall noch keine Bedeutung.
Anhaltender freudig-freundlicher Premierenbeifall galt den beiden Hauptdarstellern, einer dem griechisierenden Text ihrer Partie vollkommen gewachsenen Marianne Thielmann als Helena und all den vielen in den kleineren (undankbaren) Rollen mehrfach besetzten Darstellern, unter denen Klaus Martin, Michael Kinkel, Michael Jeske und Jürgen Petereit besonders hervorstechen. Das Bühnenbild der Inszenierung insgesamt ist stilistisch nicht im Lot, wiewohl szenenweise passend-praktisch eingerichtet; Kaiserhof, klassische Walpurgisnacht und Helena-Teil bestätigen, dass Christian Rinke und Helge Ullmann in der Lage sind, der Phantasie freie Spielräume zu schaffen. Viel trägt die sehr treffend gestaltete Maske zur Farbigkeit der Szenen und zur Ausdruckskraft der Darsteller bei; allein die Phorkyaden-Maske für Ulrich Kunze behindert sichtlich, plagt den Darsteller unnötig über lange Strecken und die Zuschauer nicht minder, weil der Text in der Maske verhallt und so die Ränge nicht erreicht.
Alles in Allem führen die Meininger Theaterleute mit ihrer Faust-II-Variante achtbares Geschütz auf die Bühne. Gewiss, es könnte noch spielerischer, noch lockerer, noch bedeutungstiefer und noch viel mehr goethischer über die Bretter gezogen, gehoben, geschoben werden. Liebenswert ist das Tat gewordene Selbstbewusstsein, es trotz all der vorauszusehenden Widrigkeiten doch zu tun. Und wer weiß, vielleicht sehen wir eines Tages eine Meininger Variante der Letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus oder Der Ring des Nibelungen, für die Meininger Bühne bearbeitet von Richard Wagner. Solange all dies möglich scheint, ist in dem Theater an der Werra ein lebendiger Kern am Werke, der zur Freude seines treuen Publikums für manche Überraschung gut ist. Darf ich den verwegensten unter den Kreativen antragen, bei all der ausgebrochenen totalen Faust-Duselei über die Texte von Nikolaus Lenau und Calderon de la Barca - sowie dem assoziativem Gemenge hier und Figurenspiel da - hinaus, sich selbst samt ihrer angestammten Theatergemeinde ein Sahnehäubchen zu gönnen und nun endlich mit dem Nachdenken zur Inszenierung von Faust, der Tragödie dritter Teil zu beginnen, jenem epochalen Werk in der Nachfolge Goethes, das uns Friedrich Theodor Vischer alias Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky (1807-1887) geschenkt hat? (Ich bin das Lieschen, das am Brunnentrog - Einst des Gespräches mit dem Gretchen pflog.) Das Werk des Dichters harrt seiner Verlebendigung: Lieschen: Ermanne dich, da steht der Hölle Sohn! Komm zu dir! Auf, er packt dich schon! Vertreib ihn mit Gebet, Sonst wird´s zu spät! Faust: Ach, lass mich fort, du bete nur und bleibe! Ich breche auf und stürze in die Kneipe!
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